Bär

21.7.17 Colville, WA

 

"Bärli hie u Bärli da, jede wot es Bärli ha.

Hüt se si us Schoggola, früecher hets no Bärli gha.

Hüt se si z Amerika, keni Bärli schisst mi a.

Ächti Bäre chasch vergässe, muesch halt Gummibäre frässe."

 

Stiller Has, "Bärli"

 

 

Plakate und Menschen machen uns während unserer Reise durch die Wälder immer wieder aufmerksam auf die Existenz von Bären. Der Grizzlybär kommt seltener vor und das ist gut so. Er ist sehr gross und sich dessen bewusst. Mit seinen über 50 kmh kannst du ihm nicht davon rennen. Auch auf Bäume steigen wird nicht empfohlen. Klettert er dir nicht nach, rüttelt er am Baum, bis du wie ein reifer Apfel vom Ast fällst. Es ist keine gute Idee, einem Grizzly zu begegnen. 

Der öfters verbreitete Schwarzbär ist kleiner. Er hat Angst vor dir und pfeifst du laut, läuft er davon. Nie jedoch soll sein Mutterinstinkt getestet werden. Wie bei den meisten Tieren werden Mütter mit Kindern gefährlich, kreuzt du ihre Wege, um ihre Kleinen vor dir zu beschützen.

 

Wir machen halt in Colville. Die Gastgeberin des Discover Campgrounds erzählt uns, dass sich ein Schwarzbär seit ein paar Tagen in der Nähe herumtreibt. Für uns ändert sich sogleich die Farbe des Waldes. Hinter jedem Busch und Baum sehen wir eine Bewegung. Ein Blatt fällt vom Baum: Schwarzbär. Ein Vogel: Schwarzbär. Ein Windstoss bringt das Gras zum Rascheln: Schwarzbär. Ich übe schon mal, mit den Fingern laut zu pfeifen, um gewappnet zu sein. Und so ziehen wir los in die Wälder. Der Ort ist schön, ein Bach rauscht durch den Wald, plätschert eine Felswand hinunter und gurgelt weiter. Grosse, dünne Tannen bilden einen lichten Wald, der Boden besteht aus einem wilden Gemisch aus hohen Gräsern, Blumen und Beerensträuchern. Letztere ziehen auch den Schwarzbären an. Wir folgen einem Pfad im Wald, vorsichtig, jede kleinste Bewegung registrierend, etwas nervös und laut Scherze machend, vor jeder Kurve den Bären warnend. Und tatsächlich: Als wir um eine Ecke biegen, sehen wir ihn. Hinter einem umgefallenen Baum. Es raschelt, und als wir ihm zurufen, wird es ruhig. Vorsichtig gehen wir etwas näher heran, die 50 hkm eines Bären im Hinterkopf. Wieviele Sekunden sind das für unsere 50 Meter Distanz? Wir pfeifen, wollen den Bären in voller Grösse sehen. Sollen wir näher gehen? Zu gefährlich, entschliessen wir uns wohlerzogen und entfernen uns schon langsam, möglichst geräuschlos, rückwärts, nie den Blick abwendend. Da! Der Bär läuft weg, seitwärts. Ein schwarzer Bär. Dickes schwarzes Fell. Doch plötzlich ändert er seine Richtung. Er kommt direkt auf uns zu! Vor Schreck will der Körper loslaufen, doch wir bleiben stehen. Spitze Ohren. Spitze Ohren? Ein Hundegesicht? Es ist ein mittelgrosser schwarzer Hund mit Stummelschwanz, der uns freudig begrüsst.

 

Zwei Tage später nehmen wir den Highline Trail im Glacier Nationalpark, Montana, in Angriff. Früh fahren wir los, um einen der spärlichen Parkplätze zu ergattern. Unser Plan ist es, den Bus bis zum Ende des Trails auf dem Logan Pass zu nehmen, um die Wanderung auf dem Parkplatz zu beenden. Doch unsere Idee ist die Idee vieler Touristen. So stehen sie bereits Schlange an der Bushaltestelle. Wir stellen unseren Plan auf den Kopf, können direkt loslaufen und haben kein Auf-den-Füssen-Herumgetrampel. Ein Schild warnt vor den Bären, gibt uns Verhaltens-Tips und empfielt den Bären-Pfefferspray. Alle paar Minuten soll man schreien und vor jeder Kurve klatschen, um den Bären zu warnen. Wir laufen los, Scherze machend über die Wanderer, die behängt mit Glocken die Wege ablaufen. 'Sicher lachen auch die Bären über sie.', sagt Seraina. 'Oder sie freuen sich schon, eine Glocke zu hören: Mmh yummy', lacht Simon. Unsere Wahl war eine gute. Wir sind ganz alleine auf dem Pfad entlang eines steilen Hanges, umsäumt von Huckleberries und jungen Tannen. Keine halbe Meile vom Parkplatz entfernt, noch immer Witze reissend, sieht Simon eine Staubwolke: 'Etwas Braunes!'. Was war das? Wir gehen einen Schritt weiter und schon sehen wir den Bären, der uns verwundert anschaut. Wir starren zurück, die Herzen rasend. Ein langer Moment vergeht und der Bär trottet langsam und gemächlich vom Pfad in die Büsche, erst dort sein Tempo beschleunigend. Das war ein Schreck. 'Besser wir kehren um, nehmen den Bus und folgen den Glocken-Touristen.', sagt Seraina, das Herz immer noch im Galopp. Mit eingezogenen Köpfen machen wir kehrt. In der Ferne kommt uns eine Wanderin entgegen. Wir warten sie ab und warnen sie vor dem Bären. 'Ein Bär', lacht sie, 'ein Grizzly oder ein Schwarzbär?'. Sie trappt weiter und dies in einem Tempo, dass wir nur mit grossen Augen hinter ihr herstarren. Wir sehen sie bereits zerfleischt auf dem Weg liegen, als wir ihr zögerlich folgen. Doch der Bär ist weg. Die nächsten paar Stunden verbringen wir klatschend, singend und laut redend. Das Lied von Stiller Has 'Bärli hie ond Bärli da, jede wot es Bärli ha...' ist Nummer eins der Charts. So wandern wir durch Wälder und unglaubliche Blumenfelder. Da kommen uns die ersten Wanderer entgegen: 'Wow, ihr habt einen Bären gesehen. Wie schön für euch!' Alle paar Meter laufen wir nun Menschen über den Weg. Unsere Lage entspannt sich und wir hören auf zu klatschen. Nach ein paar Stunden haben wir den Bären schon fast vergessen und machen uns über uns selber lustig: Klatsch, klatsch, weisst du noch?

Der Weg führt einem hohgelegenen Hang entlang, das weite vom Gletscher geformte Tal mit Tannenwäldern und sich hindurch schlängelnden Bächen unter uns. In der Weite sind die Schneeberge sichtbar. Auf der anderen Seite des Pfades erheben sich steile felsige Wände. Wir entdecken weisse Bergziegen. Nach gut sechs Stunden kommen wir auf dem Logan Pass an und nehmen den Bus zurück zum Parkplatz.

 

Update 06.08.2017

 

Heute spazieren wir erneut um einen See mit Bergen im Hintergrund. Wir sind im Grand Teton Nationalpark. Einmal mehr erinnern uns die Landschaften an die Schweiz. Es gibt jedoch Unterschiede: Wir haben den Phelps-See schon fast umrundet, als ein Pärchen ein paar Meter vor uns aufspringt und zum Ufer hinabzeigt. "A bear, a bear!" Ihre Stimmen überschlagen sich.

Sie fuchteln erschreckt mit Smartphone und Bärenspray herum. Schnell Foto! Oder doch besser Spray? Der kleine Schwarzbär fürchtet sich mehr als die beiden und sprintet den Hang hinauf. Auf die zwei zu.

Entsetzt packen sie ihre Sachen und nehmen Reiss aus.

Was man vor einem Bären ja nicht machen sollte: Davonrennen! Aber sie haben Glück. Der Bär hat so einen Schrecken, dass er nur noch das Weite sucht.

Ein paar Meter zurück sehen wir dem Schauspiel gespannt zu und machen unser Bärenfoto.

"Wie viele Bären haben wir jetzt schon gesehen?"

"Vier, fünf? Ich weiss nicht mehr."