Herrje! Wie komm‘ ich von Vilcabamba nach Iquitos?

Es gibt mehr als eine Möglichkeit von Ecuador nach Peru zu reisen:

Die eine - sicherlich eine bequemere - wäre, den internationalen Bus von Loja nach Piura (ca. 8h) zu nehmen und anschliessend weitere vierzehn Stunden in einem direkten Bus nach Tarapoto zu verbringen.

Eine weitere: Von Vilcabamba könnte man direkt Richtung Süden fahren und die wenig frequentierte Grenze "La Balsa" überqueren.

Da gäbe es noch eine dritte - auf dem Landweg hoch nach Coca, weiter mit Cargo-Schiffen den Napo runter, ab durch den Dschungel -, aber die haben wir aus Geldgründen und vor allem, weil es kaum abzusehen ist, wie lange die Reise dauern würde, bereits gestrichen.

Zwischen den anderen beiden wer weisen wir hin und her. Die eine einfach und sicher, die andere auf dem direkteren Weg, aber anstrengend. Alles herumrätseln und -fragen hilft nichts. Um zu wissen, muss man selber erfahren.

Also tun wir die erste Option als zu langweilig ab, denn - so abgegriffen wie das Sprichwort auch sein mag - bleibt der Weg immer noch das Ziel. Am frühen Morgen steigen wir in Vilcabamba in einen alten Bus nach Zumba. Niemand, weder Internet noch die Touristeninformation, konnte uns verraten, wie lange wir für diese Busfahrt brauchen würden. Wir rechnen mit vier bis zehn Stunden - je nach Zustand des Busses und der Strasse.

Eine gute, neue Strasse schlängelt sich durch die Berge, wunderschöne Aussichten bieten sich uns. Der Bus stoppt immer wieder und Arbeiter, Schüler und andere steigen zu oder aus. Dann, nach etwa zwei, drei Stunden fahren wir aus einem Dorf auf eine nicht asphaltierte, vom Regen aufgeweichte Schlammstrasse. Jetzt erst sehen wir, warum nicht vorherzubestimmen ist, wie lange die Fahrt dauern wird. Manche Passagen sind in ganz gutem Zustand, doch oft versperren Erdrutsche grosse Teile unseres Wegs. Der Busfahrer zirkelt jeweils gekonnt in Schritttempo um die Erdwälle herum. Dabei droht links die Gefahr, in die Tiefe zu rutschen, und rechts von weiteren Erdmassen erschlagen zu werden. Wären wir auf eigene Faust unterwegs, ich glaubte nicht, dass diese Dschungelstrasse irgendwohin führt. "Dirt Road ins Nimmerwo" wäre wohl ein treffender Name für sie.

Dann kommt die erste Panne auf unserer Südamerikareise. Und da Bremsen gerade auf diesem Weg eine vorteilhafte Sache sind, muss das Luftdruckventil wohl oder übel repariert werden - ganz nach MacGyver mit herumliegendem Gummi und Schrauben. Besser nicht genau hinschauen, denke ich mir. Dann aber: Warum eigentlich nicht? Da kann man noch was lernen!

Nach sechs Stunden treffen wir in Zumba, einer Kleinstadt in den Anden nahe der peruanischen Grenze ein. Hier steigen wir um in ein Safari ähnliches Vehikel: ein Truck mit Holzbänken auf der Ladefläche, gedeckt, aber zu beiden Seiten offen. Im Vergleich zur Strasse, nein, Weg, nein, Pfad, den wir jetzt befahren, muss man die Strasse nach Zumba wohl Highway nennen.

Gemächlich ruckeln und holpern wir den Pfad entlang. Schon kurz nach der Abfahrt tun mir Hinterteil und Nieren weh von der ständigen Hüpferei. Nur gut, brauchen wir für die vierzehn Kilometer an die Grenze nicht erwähnenswert länger als neunzig Minuten.

Die Grenze besteht mehr oder weniger aus einer Brücke. Auf beiden Seiten stehen ein paar Häuser. Für jeden Dollar, den wir wechseln, bekommen wir fast drei Soles. Die Aus- und Einreiseformalitäten werden ziemlich zwanglos geregelt. Wir sind in Peru!

Als nächstes müssen wir nach San Ignacio kommen. Dazu werden wir in ein Kombi-Taxi verfrachtet und über eine nigelnagelneue Strasse chauffiert, die allerdings so von Erdrutschen überschüttet ist, dass der Fahrer ständig Slalom fahren muss. Er schaltet Gänge und schneidet Kurven, dass es Angst macht. Müde kommen wir eine Stunde später in der kleinen Stadt an. Es dunkelt schon. Wir suchen eine Unterkunft und fallen erschöpft in tiefen Schlaf.

Schon am nächsten Morgen sitzen wir in einem Colectivo und reisen weiter. Bevor wir an unserem Ziel ankommen, müssen wir noch zweimal umsteigen. Da muss man geduldig sein. Uns dünkt es, wir warten fast länger, bis die Minibusse mit Passagieren gefüllt sind, als dass die Fahrten dauern.

Nach zwei langen Tagen unterwegs sind wir endlich da: Chachapoyas.

Die Andenstadt wird immer häufiger von Touristen besucht, obwohl sie abseits der Reiserouten der meisten Leute liegt. Wie alle, die hierherkommen, fahren wir mit einer Tour zu den Kuélap-Ruinen. Die kleine Festung, die einst das Zuhause von drei- bis viertausend Menschen war, liegt oben auf einem hohen Hügel über den Wolken. Sie wurde lange vor der Zeit der Inkas von den Chachapoyas (Wolkenmenschen) erbaut.

Mehrere Stunden begleitet uns unser Führer Manuel durch die Steinruinen und bereichert unser Wissen mit den Eigenheiten jenes altertümlichen Volks.

Nachdem wir uns eine Weile im kühlen Chacha ausgeruht haben, setzen wir unsere Reise fort: neun Stunden im Minibus nach Tarapoto und weitere drei nach Yurimaguas, wo alle Strassen enden und der Amazonas, eine Welt aus Flüssen, beginnt.

Hier wollen wir in ein Schiff umsteigen, das uns innerhalb dreier Tage nach Iquitos bringen soll. Unser Moto-Taxifahrer empfiehlt uns hingegen, ein Schnellboot zu nehmen, das nur wenig teurer ist, aber die Strecke in eineinhalb Tagen bewältigt.

Am nächsten Morgen sitzen wir in einem langen, mit Plastikstühlen besetzten Boot, das glücklicherweise mit einem Dach und Plastikfolien als Seitenwände ausgestattet ist. Über der Flusslandschaft schüttet es in Strömen. Wir bereuen unseren Entscheid ein wenig, das Schnellboot genommen zu haben. In Hängematte auf dem Cargo-Schiff zu Reisen, wäre bestimmt schöner, als hier in den engen Reihen zu sitzen.

Die Stunden ziehen sich hin. Irgendwann im Verlauf des Morgens lässt der Regen nach. Erste blaue Flecken zeigen sich am Himmel und einzelne Sonnenstrahlen gelangen bis zu uns herunter. Die seitlichen Plastikfolien können hoch geschnürt werden, was die Reise viel angenehmer macht, da endlich was zu sehen ist.
Den ganzen Tag sind wir auf breiten braunen Fluss Richtung Iquitos unterwegs. Es ist bereits stockdunkel, als wir in einem Dorf anlegen. Strom gibt es hier nicht, es ist kaum etwas zu erkennen. Niemand weiss so genau, was nun geschehen soll. Gibt es Unterkünfte? Zimmer? Hängematten? Weder, noch. Wir müssen es uns auf dem Boot gemütlich machen. Wenigstens werden alle mit einem Teller Reis, Yucca und Fisch verpflegt. Statt sich an der Stille auf dem Fluss in dunkler Nacht zu erfreuen, wissen zwei unserer Nachbarn nichts Gescheiteres zu tun, als mit ihren Handys um die Wette zu dröhnen. Sie sitzen nebeneinander liegend auf ihren Stühlen und spielen ihre gesamte Musikliste durch. Gleichzeitig. Ziemlich laut. Ohne Sinn und Geschmack.
Alle haben sich eingerichtet, der Kapitän hat sich auch schon neben uns in die Hängematte geschmissen. Zunächst denke ich, jetzt wird den beiden Einhalt geboten und bald wird es ruhig. Dann höre ich, wie falsch ich liege. Nun spielen sie zu dritt an ihren Telefonen herum, einer lauter als der andere, wobei leicht zu bemerken ist, dass ihre Spielzeuge sicherlich mehr Kapazität haben als ihre Gehirnströme. Geschlagen lege ich mich zurück, drücke mir meine Ohrenstöpsel rein und versuche mich zu entspannen.
Um 3.3o Uhr morgens werden wir aus unruhigem Schlaf geweckt. Es geht bereits weiter. Die Nacht zeigt sich pechschwarz. Zerschnitten wird sie bloss von unseren Taschenlampenpegeln. Ein Bootsgehilfe leuchtet mit seiner ultrastarken in den Fluss hinaus und zeigt dem Captain, der hinten die Motoren bedient, den Weg durch Treibholz und Sandbänke.
Als es schliesslich dämmert, beginnt ein Vogelkonzert. Überall flattert und pfeift es. Den King Fisher scheint es zu gefallen, neben dem Boot herzufliegen. In einem Ast am Ufer liegt ein Leguan, der auf die wärmende Sonne wartet. Wir dösen vor uns hin. Stunde um Stunde vergeht. Die Aussicht immer dieselbe: Brauner Fluss, bewölkter Himmel (die Wolken nehmen bisweilen spektakuläre Formen an), links und rechts grüne Büsche und Bäume, in denen manchmal Holzhütten auftauchen; meist zu wenige, um sie Dorf zu nennen.
Und dann – und dann sind wir plötzlich da. Unser Dämmerzustand lichtet sich. Zwar erst in Nauta, noch immer nicht in Iquitos, sind wir dennoch froh, hier in ein Bett zu fallen, um die lange Reise zu verdauen. Iquitos ist nur noch eine Stunde Autofahrt entfernt, die schieben wir erstmal auf.

 

Seit wir in Vilcabamba, Ecuador, aufgebrochen sind, sind Tage vergangen. In allen möglichen Vehikeln sind wir gereist, lange Stunden, bis uns die Pobacken einschliefen. Die Erfahrung war es wert. Dennoch sind Seraina und ich mehr und mehr dazu entschlossen, in nicht allzu ferner Zukunft Südamerika mit eigenem Auto zu bereisen. Zuviel, das zwischen A und B verloren geht, während man im Bus sitzt und nur aus dem Fenster staunen darf.
Morgen fahren wir ausgeruht nach Iquitos, das mitten im Dschungel liegt, abgeschnitten von der Aussenwelt, nur per Boot oder Flugzeug erreichbar, und dennoch Heimat von einer halben Million Menschen. Bevor unser Volontäreinsatz im Tierwaisenzentrum Pilpintuwasi beginnt, haben wir noch ein paar Tage Zeit, um uns die Stadt näher anzuschauen.