Die Küste - 19. Februar 2014

Ehe wir uns versehen, ist unser Monat im Casa Feliz in Minca um. In dieser Zeit lernten wir das Dorf und seine Umgebung besser kennen. Auf Wanderungen durch die Sierra, auf denen uns meist ein oder zwei Hunde aus dem Dorf begleiteten, gab es immer wieder Neues zu bestaunen. Von den Pozos Azules (vom Wasser geformte Becken) zu verschiedenen Wasserfällen passierten wir desöftern Unterkünfte mitten in den Wäldern der umliegenden Berge.

So abgelegen wie sie auch sein mögen, verirren sich nicht wenige Touristen dorthin. Auch uns gefiele es, ein paar Nächte da draussen in den Bergen zu verbringen. Wir sind aber sehr zufrieden mit unserem Häuschen in Minca und verweilen oft einfach zu Hause, lesen, schreiben, malen, spielen, kochen, essen und geniessen.
Als dann nach Weihnachten mehr und mehr Touristen an die Küste und auch nach Minca strömen, wird es beinahe geschäftig im Dorf. Minca hat sich herausgeputzt. Die Hotels und Restaurants sind voll. Auch wir nutzen das aus und stellen unser Schmuck am Fluss aus.
Es sind wie schon in Mexiko vor allem einheimische Touristen, die gerne Geschenke für Freunde und Familie machen und bei uns einkaufen.
Ende Dezember läuft unsere Aufenthaltsbewilligung für Kolumbien ab, genau dann, als unser Monat im Casa Feliz endet. Wir überlegen hin und her, ob wir kurz nach Venezuela reisen sollen, das nur ein paar wenige Stunden entfernt liegt, um danach nach Kolumbien mit frischen drei Monaten im Pass zurückzukehren.
Am Ende entschliessen wir uns, im Migrationsamt in Santa Marta eine neue Erlaubnis zu kaufen. Je umgerechnet vierzig Franken bezahlt, dürfen wir ungestört bis Anfang April durch Kolumbien reisen.
Wir verlängern eine Woche in Minca, denn so schnell wird es uns hier nicht langweilig. Da aber im Januar höchste Hochsaison herrscht, verdoppeln sich fast überall die Preise für Unterkünfte.
Wir schauen uns um und finden schliesslich im Internet ein Hotel im berüchtigten Taganga, das Cabañas für einen so günstigen Preis anbietet, dass es irgendwo einen Haken haben muss.
Nichtsdestotrotz buchen wir es für fünf Tage und haben doppeltes Glück.
Zum einen lernen wir den 61-Jährigen Besitzer des Hotels Miguel Angel kennen, mit dem wir uns schnell verbünden. Denn in seiner Küche steht ein Backofen. Ins frische Brot, das Seraina daraus hervorzaubert, verliebt er sich auf den ersten Biss. Ausserdem gibt es fast täglich frischen Fisch von den hiesigen Fischern, den wir zusammen mit Miguel Angel auf dem Grill zubereiten. Da wird sogar Seraina zum Pesquetarier.
Auf der anderen Seite hat der Hotelpreis tatsächlich einen Haken. Entweder liegt der Fehler bei Miguel Angel oder aber bei der Firma Hostelworld, auf deren Website man Hostels in der ganzen Welt suchen und buchen kann. Irgendwie wurde auf ihrer Homepage der Punkt für die Mietsumme falsch gesetzt, was dazu führte, dass nicht nur wir zu einem zehnmal geringeren Preis in Miguel Angels Cabaña wohnen dürfen.
Gewissensbisse wegen Miguels Verluste verfliegen schnell. Wir befreunden uns mit ihm und bereichern unsere gemeinsame Zeit gegenseitig.
Schon Mauricio in Bogotá hat uns wissen lassen, dass die einen Taganga lieben und die anderen es hassen. Und auf welcher Seite stehen wir jetzt?
In diesem kleinen Fischerkaff, in dem seit einigen Jahren auswärtige Investoren mit Hotels und Diskotheken das grosse Geld schäffeln und so die Einheimischen immer weiter verdrängen, kann man jeden Abend Party machen. Wer das sucht, ist am richtigen Ort.
Wer es wie wir lieber etwas ruhiger hat, hält es in Taganga wohl nicht lange aus. Da wir aber auf Miguel Angel und seine hübschen Bambus-Bungalows getroffen sind, gefällt es uns hier ziemlich gut. Die trockene Hitze und der starke Wind zeichnen den Charakter Tagangas ebenfalls aus.
Auch hier versuchen wir unser Glück auf der Strasse und gliedern uns zwischen den unzähligen Artesanos ein. In zwei Tagen verkaufen wir zwei Schmuckstücke. Das mag sich für andere lohnen, für uns jedoch nicht.
Lieber verbringen wir unsere Zeit mit Miguel in seiner ruhigen Zuflucht, als mit all den Leuten auf den Strassen von Taganga.
Unser nächstes Ziel auf unserer Reise ostwärts der Karibikküste entlang heisst Palomino. Von einem Artesano haben wir von „La Casa de Simon“ erfahren. Wir fragen danach und finden es schnell. Es ist keine Herberge im eigentlichen Sinn, dennoch hat es den Anschein, dass es die meisten Leute anzieht, die in diesem kleinen Dorf vorbeikommen.
Das liegt wohl daran, dass es sich hauptsächlich um junge Artesanos, Musiker und andere Künstler handelt, die hier bei Simon im Zelt oder einer Hängematte zu einem entgegenkommenden Preis übernachten und sich austauschen können.
Palomino ist magisch. Wie Minca liegt es nahe der Sierra Nevada. Gespiessen von Wasser aus den über 5000 Meter hohen Schneebergen leuchtet es grün und fruchtbar aus der trockenen Umgebung heraus.
In den Bergen leben die Kogis. In Palomino trifft man oft auf Angehörige der in weisse Gewänder, die Männer ausserdem mit weissem, grossem Hut bedecktem Haupt, gekleideten Indigenen. Sie sind kleine Leute, die zurückgezogen in Dörfern hoch oben in den Bergen wohnen. Trotzdem scheinen sie offen zu sein für Menschen, die sich für ihre Kultur und Weisheiten interessieren. Wir hören von verschiedenen Leuten, dass sie sich mit ihnen austauschen, mit ihnen zusammen arbeiten und leben, um voneinander zu lernen.
Nicht nur Dschungel und Berge ziehen Menschen an, auch der Ozean und ein traumhafter Palmenstrand bezaubern immer mehr Touristen und Reisende. Noch ist es eher ruhig in Palomino, aber bereits jetzt ist eine touristische Entwicklung zu spüren. Bleibt abzuwarten, wohin sie führen wird.
Eines Tages lernen wir Nat aus Australien kennen. Er erzählt uns, dass er sich vor Kurzem ein kleines Stück Land ergattert hat und nun in Palomino lebt. Nicht schlecht, denken wir, und hören ihm gespannt zu, als er erwähnt, dass es noch weitere günstige Angebote in Palomino gäbe. Davon aber mehr später.
Denn unsere Reise endet ja nicht in Palomino. Wir nehmen den Bus nach Riohacha, der Hauptstadt von La Guajira, von wo man mit Auto und 4x4-Jeep durch die Wüste bis nach Cabo de la Vela gelangt. Hier auf der Halbinsel, ganz im Nordosten Kolumbiens nahe der venezolanischen Grenze, leben vor allem Indigene, die Wayuus. Cabo ist ein kleines trockenes Nest, das Meer bewegt sich kaum, dafür bläst ständig ein trockenheisser Wind.
Zuerst wissen wir nicht recht, was wir hier suchen. Durch den Tag ist es einfach zu heiss, um sich an die pralle Sonne zu wagen. Nur früh am Morgen und abends ist es ratsam, spazieren zu gehen. So machen wir es dann auch.
Noch vor Sonnenaufgang wandern wir los, um die umliegende Wüste, Salzsee und Küste zu erkunden. Kakteen und so viele verschiedene Arten von Gestein, dass nicht nur einem Geologen die Augen überquellen, bescheren uns einen äusserts interessanten Tag. Bald aber brennt die Sonne wieder so stark, dass nicht einmal der Wind erfrischen kann.
Es gäbe hier draussen noch vieles zu unternehmen. Die weiter weg liegenden Strände und der Macuira-Nationalpark, der mitten in der Wüste eine Oase für eine bedeutende Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen darstellt, sind schwer zu erreichen und dementsprechend teuer.
Nach drei Tagen fahren wir zurück nach Riohacha und später weiter nach Palomino, wo uns Geschäfte erwarten.
Kaum sind wir zurück, nehmen wir Kontakt zu Nat auf, der uns wie versprochen zuerst seine Errungenschaft, das Stück Land, auf dem er bald sein eigenes Haus bauen will, vorführt und uns schliesslich durch seine Nachbarschaft begleitet.
Auf unseren Wunsch hin zeigt er uns eines der zum Verkauf stehenden Stück Ländern und stellt uns den Nachbarn vor. Sollen wir das wirklich tun? Leisten könnten wir es uns. Nur müssen wir uns bald entscheiden. Den Palomino wächst und so auch die Preise.
In den kommenden Tagen informieren wir uns über verschiedene andere Möglichkeiten, darunter sind Hektaren von Dschungel, die so billig zu haben sind, dass wir uns gleich mehrere kaufen könnten.
Nach einigen Tagen entscheiden wir uns dann aber tatsächlich für jenes kleine Land im Dorf, das uns Nat als erstes gezeigt hat. Darauf steht nichts als ein paar Mango- und Orangenbäume, Bananenstauden, Kokospalmen und Zuckerrohr.
Der Deal läuft glatt über die Bühne. Ohne Weiteres sind wir frische Landbesitzer in Kolumbien!
Ja, und jetzt?
Jetzt gehen wir erst mal reisen. Einem Freund geben wir den Auftrag, während unserer Abwesenheit auf unser Land aufzupassen und es sauber zu halten. Bevor wir daran denken können, uns ein eigenes Häuschen zu bauen, müssen wir erst einmal genug Geld zusammen sparen. Aber erst in ein, zwei Jahren wollen wir diese Idee in Realität umsetzen.
Zunächst reisen wir über Taganga zurück nach Minca, wo wir einen Teil unseres Gepäcks bei einer Freundin aufbewahren.
Was wir uns bis jetzt aufgespart haben, ist eine Wanderung hoch zum Gipfel Kennedy, von wo aus man morgens früh die Schneeberge der Sierra Nevada sehen kann. Morgens um Fünf marschieren wir los. Per Anhalter können wir uns einen grossen Teil des Wegs schenken. Trotzdem ist es ein langer Marsch hinauf durch den Wald. Die Vegetation ändert sich je höher wir steigen. Immer mehr Moos und Farnpalmen, schliesslich auch Tannen schmücken den Weg.
Der anfangs dunkelblaue Himmel bewölkt sich, je weiter der Morgen voranschreitet. Erst gegen Mittag, schon über 3000 Meter hoch, kommen wir oben an. Was wir unten schon ziemlich sicher gewusst haben, bewahrheitet sich jetzt. Statt weisse Berggipfel sind es dichte Wolkenschwaden, die uns erwarten. Nur ab und zu erhaschen wir einen Blick auf Berge in der Ferne. Jedoch keine schneebedeckten.
Dennoch ist die Wanderung ein Genuss, auch noch, als uns beim Abstieg schon die Füsse schmerzen. Plötzlich raschelt es in den Baumwipfel und wir entdecken eine Horde Brüllaffen. Unter den vielen Vögel, die uns stets pfeiffend und trillernd begleiten, können wir ein paar Tukane beobachten, die sich aber nur ungern fotografieren lassen.
Pünktlich zu Sonnenuntergang sind wir zurück im Hotel Mirador bei Fernando und Margerita. In ihrem grünen Garten zelten wir die letzten Tage in Minca, während uns die Kolibris um die Köpfe schwirren.
Auf der Rückreise nach Bogotá machen wir einen Stopp auf der anderen Seite der Sierra Nevada, in Valledupar. Mehr als zwei Tage halten wir es aber kaum aus in den fast vierzig Grad im Schatten. Gerademal am Fluss ist es angenehm. Wir saugen kräftig Hitze und Sonnenstrahlen in uns auf, denn uns erwarten siebzehn Stunden in einem Kühlschrank auf Rädern.
Als wir endlich um Sieben Uhr morgens in der Hauptstadt ankommen, ist es auch dort nicht wärmer. Nun, nach über drei Monaten warmen Sonnenschein tut die kühle Luft gar nicht so schlecht.
Allzu lange möchten wir trotz der unübertrefflichen Gastfreundlichkeit von Mauricio und Vivi dennoch nicht in dieser Riesenstadt verweilen. Gerade mal lange genug, um mit ihnen ein bisschen Zeit zu verbringen und unsere weiteren Pläne zu konkretisieren. Denn bald sollen wieder Grenzen überschritten werden. Ecuador, Peru, Bolivien, Chile erwarten uns bereits auf der anderen Seite.