San Gil - 8. Dezember 2013

Nach dem gewaltigen Bogota im übersichtlichen San Gil anzukommen, entspannt. Wir quartieren uns vorerst in einem Hostel ein, das von Silvain, einem Welschschweizer geführt wird, und machen uns auf einem Spaziergang einen ersten Eindruck des Städtchens. Mit seinen 45000 Einwohnern grösser als zuerst angenommen, ist es dennoch beschaulich. Es liegt eingebettet in grünen Hügeln, geteilt vom wilden Rio Fonce.
Für all die angebotenen Adrenalinkicks wie Riverrafting, Paragliding und Canyoning interessieren wir uns wenig. Wir wollen lieber wissen, wo wir uns hier für etwas länger einnisten können. Auf Airbnb.com stossen wir auf die Kaffee-Finca, auf der Justin und Andrea mit ihrem Sohn Inti und ihrer Tochter Sami leben (ihre Namen stammen aus der indigenen Sprache Quechua: Inti bedeutet Sonne, Sami Energie).
Unser erstes Treffen mit der anglo-kolumbianischen Familie findet im Zentralpark von San Gil statt, inmitten des Halloweenrummels. Kleine Batmans, Super Marios, Shreks, Prinzessinnen tummeln sich um uns. Die Kids haben sichtlich ihren Spass. Das Ganze ist ein riesiger farbiger Haufen, an dem wir uns kaum sattsehen können.
Dann stehen sie vor uns: Blutige, aufgerissene Gesichter, schwarze Augenhöhlen, Cowboy-Klamotten. Eine Zombie-Familie aus dem Wilden Westen.
Wir werden uns mit Justin und Andrea schnell einig und ziehen am darauffolgenden Tag bei ihnen ein. Schnell machen wir Bekanntschaft mit dem jungen gern etwas übereifrigen Boxer Lucho und der im Gegensatz kleinen ruhigen „Mini-Labradordame“ Foxi. Der ständig um Futter jammernde Puss und die bockige Ziege Manchita, die nicht lange nach unserer Ankunft ihre kleine Isi gebährt, vervollständigen die Familie.
Dann ist da noch Alex, ein junger englischer Voluntär, der Justin bei Konstruktionsarbeiten unter die Arme greift. Er hat Justin auf der Website workaway.info gefunden, die er uns wärmstens empfiehlt, falls wir auf unserer Reise durch Kolumbien und die Welt auch gerne im Austausch gegen Kost und Logie arbeiten und dabei heimische Menschen näher kennenlernen wollen.
Damit fangen wir gleich an. Nachdem wir zu Beginn noch Miete und Essen bezahlt haben, werben wir bei Justin und Andrea an und beginnen kurz darauf mit unserer Arbeit.
Und davon gibt es ausreichend. Möglichst bald wollen die beiden hier ein Hostel/Zeltplatz eröffnen. So einiges muss noch gebaut werden, manches ausgebessert: Jurten, Trockenklo, Camping-Küche, Hängemattenunterstand und ein alter Bus, der zu einer Chillout-Zone umgewandelt werden soll.
Während sich Seraina daran macht, das Logo und Design für das zukünftige „La Pacha Hostel“ zu entwerfen, nehme ich Pickel und Schaufel in die Hand...

Nicht nur die Arbeit und die schöne Region veranlassen uns, hier mehrere Wochen verstreichen zu lassen. Vor allem sind es Justin, Andrea und Alex, mit denen wir einen Abschnitt unseres Wegs teilen dürfen, und allen, die wir durch sie kennengelernt haben.
Nebst der arbeitsreichen Tage haben wir immer wieder Zeit für Ausflüge in die Umgebung; zum Beispiel ins Kolonialstädtchen Barichara oder an den zum Baden einladenden Fluss Pescaderito.

Wir möchten aber noch von etwas Anderem berichten:
Davon gehört und gelesen habe ich schon oft. Die Neugier, es selber auszuprobieren, hat nie nachgelassen.
Ayahuasca. Der Zaubertrank der Schamanen aus dem Amazonas. Die Medizin aus einer Liane, die einem dazu verhilft, mehr Klarheit über sein Leben zu gewinnen. Es heisst, sie soll mit einem aufräumen. Körperlich, mental, wie auch spirituell.
Grosse Worte. Stimmt das? Was steckt dahinter? Wenn ich das zu mir nehme, bin ich dann nicht mehr so, wie ich vorher war?

Durch Justin und Andrea lernen wir Juan, Claudio und die anderen kennen, die regelmässig Yaje-Zeremonien abhalten. „Yaje“ nennen sie den Trunk, in dessen Form man „la medicina“, die Medizin, einnimmt, ein anderes Wort für Ayahuasca also. Übersetzt aus dem Quechua heisst „Yaje“ etwa soviel wie „Liane der Toten“ oder „Ranke der Seelen“. Je nachdem.
Sie alle schwören darauf, so oft wie möglich Gebrauch von dieser Medizin zu machen, sich zu reinigen, sich mit dem Geist, der ihr innewohnt, zu vereinen und sich mit Gott zu verbinden.
(Ich gehe davon aus, du weisst, wenn ich von Gott spreche, dass ich nicht den grossen Bärtigen meine, das ist der Samichlaus. Ich rede von jenem, der deine Zimmerpflanze wachsen lässt, der deine Haut auf einem schönen Winterspaziergang erwärmt, den du in den Bäumen und Blumen riechst. Ich spreche von dem, der dir das Gefühl gibt, das du nicht beschreiben kannst, wenn du etwas Wundervolles erlebst. Jenes, das du fühlst, wenn du dich beim Lächeln ertappst ohne den Grund dafür zu wissen. Mit anderen Worten: Von jenem Gott, der in dir ist und in allem, das dich umgibt. Einem Gott, den wir uns in unserer verwestlichten Welt kaum noch vorstellen können, in vielen Ecken der Erde aber allgegenwärtig ist.)
Pablo, der zum Freundeskreis um Juan gehört, beschreibt die Wirkung von Ayahuasca so: „Es ist, als ob du für kurze Zeit eine extrem schnelle Internetverbindung hättest. Deine Gedanken sind vollkommen klar. Du weisst, wer du bist, woher du stammst, wohin dein Weg führen wird.“
Darauf bin ich gespannt. Wir sagen zu, an einer Zeremonie teilzunehmen. Um uns darauf vorzubereiten, müssen wir einen Tag lang fasten, was bedeutet, dass wir nur Früchte und viel Wasser zu uns nehmen, vor allem aber keinen Alkohol, Tabak, Kaffee und Tierprodukte. Das zum Zweck, die Reinigung zu vereinfachen, um die Wirkung zu intensivieren. Aber auch um unsere Mägen für die kommenden Anstrengungen zu rüsten.

Um Neun Uhr abends treffen wir auf der kleinen Finca ein. Juan, seine langen schwarzen Haare sind zu einem Pferdeschwanz gebunden, wird die Zeremonie leiten. Er empfängt uns mit einer Umarmung und stellt uns Claudio vor, der ihm assistieren wird. Sie beide sind ungefähr in meinem Alter und tragen Kleidung der einheimischen Indios. Ausserdem ist Magdalena zugegen. Sie ist eine Schamanin, eine Heilerin, wie wir später erfahren, und wird die etwa acht Teilnehmer ebenfalls durch die Nacht begleiten und ihnen behilflich sein.

Seraina schildert, wie sie die Nacht erlebt hat:
„Wir sassen am Feuer und warteten. Meine Nervosität steigerte sich. Irgendwie wusste ich, dass die Erfahrung positiv sein würde, dass es auf jeden Fall vieles zu lernen gab. Dennoch beherrschte mich eine Furcht vor einem „Beinahe-Tod“, dem Sturz ins Ungewisse, dem dominiert werden von etwas, das ich nicht kannte. Nicht dagegen streuben, hiess es. Einfach ruhig durchatmen und es geschehen lassen.
Zuerst wollte Juan etwas über unsere Konsumgewohnheiten erfahren. Ob wir trinken, rauchen, gerne scharf essen, und so weiter. Da wir das meiste mit ja beantworteten, wusste er, dass zuerst unsere Körper, hauptsächlich die Nieren, gereinigt werden mussten. Also erhielten wir je ein grosses Glas einer bitteren weisslichen Schlacke, die wir hinunterzwingen mussten. Und tatsächlich ging es nicht lange und wir beide sprangen in die Büsche und entleerten unsere Mageninhalte.
Bald darauf begann Juan mit der Zeremonie. Er wies uns darauf hin, worum es ging. Den Geist der Medizin müssen wir arbeiten lassen, ihn fragen, was wir von ihm wissen wollen. Die allmächtige Kraft in der Natur erkennen und uns mit ihr verbinden. Weg von der Oberfläche und der Oberflächlichkeit, tief in uns gehen.
Während Claudio uns mit Kopal einräucherte, sprach Juan Gebete, beschwor mit Palmenwedel und Mundharmonika die Geister, uns zu helfen. Jeder von uns bekam einen kleinen Schluck aus einem Hülsenfruchtbecher. Das Zeug schmeckte bitter, irgendetwas Fermentiertes.
Danach legten wir uns alle hin, ein paar ans Feuer, andere etwas weiter weg in die Dunkelheit.
Lange geschah nichts. Eine unmerkliche Ruhe überkam mich. Ein Gefühl, Mutter zu sein, alles im Griff zu haben und alle beschützen zu können.
So hätte ich die ganze Nacht verbringen können. Dann wurde die Wirkung immer stärker. Gut, dachte ich, jetzt ist es soweit. Wie beim Gebären gleichmässig atmen und immer wissen, dass dieser Zustand vorbeigeht. Trotz optischen Veränderungen flaute die erdrückende Wirkung mit der Zeit etwas ab.
So wechselte es immer wieder von innen nach aussen, von der inneren Gefühls- in die Aussenwelt. Wie ein Pulsieren, das mal stärker wurde, sich dann wieder abschwächte.
Nach Stunden fühlte ich mich, als erwache ich aus einem Fiebertraum. Mein Körper gebadet in Schweiss. Ich stellte mir vor, wie alles Schlechte aus ihm rausgedrückt würde und liess ihn weiter schwitzen.
Als nächsten Schritt blies mir Juan mit einer Arte Pfeife reinigenden Schnupftabak ins eine, dann ins andere Nasenloch. Mir wurde augenblicklich schwindlig und liess mich schnell am Feuer nieder. Mühsam kroch ich an den Rand des Platzes, um mich vollständig zu übergeben. Erstaunlich, wie viel da raus kam. Es fühlte sich an, als würde mir alle Energie entzogen. Zitternd versuchte ich mich aufzustützen, damit ich wieder und wieder spucken konnte.
Dann endlich war es vorbei. Mein Körper fühlte sich wie eine leere Hülle an, trotzdem war mir jetzt wohl. Wie neugeboren, von allem Schlechten befreit, verbunden mit der Erde, dem Leben und meinem Körper. Mein Verstand, mein Geist, vollkommen klar.
Nach einem Schluck Wasser sank ich zurück auf die Matte, um meinen müden Körper zu entspannen. Es spielte weiter vor meinen Augen, doch ich fühlte mich gut, klar und bereit für das Leben.
Irgendwann im Verlaufe der Nacht setzte sich Magdalena zu mir hin. Ihre Hüfte an meiner, über mich gebeugt, begann die Schamanin auf mich einzureden. Ich war zuerst verwirrt. „Was macht sie da? Kommt sie jedem gleich so nah? Muss ich mich jetzt wirklich auf dieses Gespräch konzentrieren?“
Das war schwer. Gerne hätte ich ihr gesagt, sie solle mir ihre Lebensgeschichte doch später erzählen, ich würde gerne etwas liegen und schlafen. Ich schwieg jedoch. Ich dachte mir, ich könnte ja immerhin versuchen, etwas mitzubekommen.
Mit der Zeit gelang mir das dann auch. Sie erzählte mir von ihrer Begeisterung für das Leben: „Ich liebe es zu lachen und einfach zu tun, was mir gefällt. Läuft mir jemand über den Weg, der Schlechtes ausstrahlt, lasse ich ihn in Ruhe. Er hat sein Leben, ich hab meines. Jeder muss für sich selbst lernen. Jeder Mensch ist nur ein Mensch. Wenn man das weiss, kann einem nichts mehr passieren.
Ich war in Bogota, in den gefährlichen Strassen. Ich hatte keine Angst. Denn wenn du weisst, dass jeder nur Mensch ist, verbindest du dich mit jedem, liebst alle auf eine gewisse Art. Dein Gegenüber merkt das und geht anders mit dir um. Wenn du glücklich bist im Herzen, weisst du, wer du bist und wohin du willst.
Du hast ein Feuer im Bauch und weisst, wenns dir gefällt, bleibst du, wenns dir nicht mehr gefällt, gehst du weiter. Du fixierst dein Ziel, reckst die Brust und schreitest mutig voran ohne Schwierigkeiten zu meiden. Auf dem einfachen Weg lernt man weniger als auf dem schweren. Denn das ist, was du willst: Lernen, vorankommen und keine Angst vor dem Leben haben. Alles Wissen, das du benötigst, ist bereits in dir.
Als ich klein war, hatte ich keine Bücher. Wir hatten kein Geld dafür. Ich bekam keine Ausbildung. Einmal konnte ich aber von einem Freund ein Buch ausleihen, das mir sehr gefiel. Meine Freunde meinten, ich könne das Buch ohne Bildung gar nicht verstehen. Mir war egal, was sie sagten. Ich verstand es und mir gefiels.
Damals habe ich gemerkt, dass man alles verstehen kann, wenn man sich und das Leben versteht.Man braucht keine Bildung, um zu verstehen. Man braucht kein Geld, um seinen Weg zu gehen. Ein starker Wille ist viel wichtiger. Zuviel Bildung verwirrt den Verstand.
Ich lerne, was ich im Moment brauche und konzentriere mich darauf. Brauche ich später doch noch etwas Anderes, lerne ich es eben dann. Ich geniesse den Tag und lache. Mein Lachen bringt andere zum Lachen, das sich weiter und weiterträgt. Ein von mir gepflanzter Samen verstreut sich.
Niemand, kein Herrscher, kein Reicher kann über mich befehlen. Ich bin ein Geschöpf der Natur, wie wir alle, und Niemandes Untertan. Ich schaue voran und folge mutig meinem Willen.“

Irgendwann schlief ich ein. Es war bereits hell als uns Claudio mit einer heissen Panela (Zuckerwasser) und einem Stück Brot aufweckte. Ich stand auf, noch nicht ganz bei Sinnen, aber wie neugeboren.“

Natürlich hat Seraina einige Sachen in ihrem Bericht weggelassen. Dinge von persönlicher Natur. Gefühle und Erkenntnisse, die nur sie betreffen.

Für mich war es eine sehr anstrengende Nacht. Ich musste mich einige Male übergeben. Vor allem nach dem von Juan verabreichten Schnupftabak, der mir das Gehirn ganz ordentlich rausgeputzt hatte, fing die Medizin etwas an zu wirken. Aber nicht allzu stark.
Ich hatte das Zeitgefühl völlig verloren, schlief immer wieder kurz ein. Claudio kümmerte sich um mich, wollte wissen, wie es mir ginge, ob sie schon wirke, was in mir passiere. Ich bemühte mich um Antworten, konnte mich aber kaum konzentrieren.
Mein Körper vibrierte. Warum machte ich die Zeremonie mit? Was sollte mir die Medizin zeigen?
Als Claudio später zurückkam, hatte ich eine Antwort errungen.
„Paciencia“ - Geduld. Dann begann er, mir zu erklären, was das bedeute. Angestrengt hörte ich zu. Ich müsse geduldiger sein, mit meinem Mitmenschen, mit der Welt, aber in erster Linie mit mir selber. Nicht nur das. „Paciencia“ bestehe aus zwei Wörtern: „Paz“ und „Sciencia“, also aus Frieden und Wissenschaft.
Er deutete dies so, dass Innerer Frieden zu erreichen nicht einfach sei. Eine Wissenschaft für sich. Man müsse sich dafür einsetzen. Innere Zufriedenheit sei nicht eine gegebene Sache, sondern etwas, das man mit täglichem, bewusstem Üben anstreben müsse.
Unser Gespräch dauerte an.
Mich überkam keine Erleuchtung in dieser Nacht. Viel eher eine Erkenntnis: Dass ich all das bereits wusste. Das Was? war mir klar. Mit Hilfe der Atmung ins Hier und Jetzt zurückkehren, im Moment leben, sich in andere Menschen und deren Situation versetzten, geduldig sein im Leben...
Aber Wie? war es zu erreichen? Der Geist der Medizin hat mir auf die Schultern getippt und mit dem Zeigefinger darauf hingewiesen. Übung macht den Meister. Jeden Tag die Dinge BEWUSST erledigen. Die geistige Arbeit spielt eine wichtige Rolle: Meditation, Yoga, Tai Chi. Alles kann hilfreich sein.

Am anderen Morgen, als ich aufstehe, spüre ich die Wirkung meiner letzten Portion. Sie liegt mir schwer auf. Tausende Bläschen surren durch meinen Körper. Das muss ich nicht nochmal erleben, denke ich. Ich überwinde mich, nochmals meinen Magen zu entleeren. Dann endlich fange ich an, mich klar und stark zu fühlen. Was für ein schöner Tag hat gerade begonnen!

Nicht lange danach, etwa drei Wochen später, hören wir, dass Justin und Andrea Besuch von einem Freund erhalten. Mit ihm haben sie schon unzählige Yaje-Zeremonien erlebt.
Seraina und ich sind noch immer auf der Finca tätig, doch es kitzelt uns. Es ist Zeit weiterzuziehen, das Meer und die Sierra Nevada rufen uns. Dennoch, diese Gelegenheit wollen wir nicht verpassen.
Der kleine Herr, den Justin über die Finca begleitet, um ihm unsere Arbeiten zu zeigen, stellt sich uns als Hugo vor. Der Mann strahlt etwas Aussergewöhnliches aus. Die Luft um ihn herum scheint zu vibrieren. Als er von der Medizin zu erzählen beginnt, von der Weisheit in ihr, von Gott und der Natur, in der er allgegenwärtig ist, wird mir klar, dass Hugo all das verkörpert, was ich mir unter einem Schamanen aus dem Dschungel von Amazonas vorgestellt habe.
Nachdem wir unseren Wunsch geäussert haben, erklärt er sich spontan bereit, uns morgen durch die Nacht zu führen.

Es ist schon nach Acht und bereits mehr als zwei Stunden dunkel auf unserer Finca, als er ankommt und den Tisch, den wir behelfsmässig zum Altar umfunktioniert haben, mit seinen sieben Sachen schmückt. Alex, Seraina und ich warten bereits am Feuer, Justin und Andrea werden sich später zu uns gesellen (so auch Lucho und Foxi, ihre zwei Hunde, die die Nacht draussen mit uns verbringen wollen).
Hugo spricht mit den Geistern, singt, macht Geräusche. Die Stimmung passt sich ihm an. Dann räuchert er den ganzen Platz mit Kopal aus.
Wir beginnen, indem er jeden von uns mit dem Wedel reinigt, für uns Gebete spricht und uns eine süssliche Flüssigkeit von allen Richtungen über Gesicht, Hände und Körper spuckt. Dasselbe wird er zum Abschluss der Session nochmals tun.
Als wir alle vorbereitet sind, folgen wir ihm einzeln zum Altar. Dort wird uns eine wuchtige Prise Tabak durch die Nase gepustet. Das zwingt mich beinahe in die Knie und mir wird schlecht.
Etwas später, als wir komplett sind, bekommen wir das bittere Lianengemisch zu trinken und legen uns ans wärmende Feuer, wo wir uns bereits vorher mit Matten und Decken eingerichtet haben. Die Hunde kuscheln sich zu uns. Ab und zu stehe ich kurz auf, lege Holz nach, sehe in die Runde. Seraina, Alex, Andrea, Justin. Alle liegen sie da. Warten ab. Oder spüren sie schon etwas?
Ich lege mich ebenfalls wieder hin und warte. Einmal schlafe ich kurz ein. Dann merke ich Hugos Anwesenheit neben mir. „Como estas? Bien?“, fragt er. Ich spüre etwas. Ein körperliches Beben. Es rauscht und „chrüselet“ überall. Ja, mir gehts gut, aber die Medizin wirkt nicht voll.
Im Verlauf der Nacht nimmt Hugo seine Gitarre zur Hand und fängt an zu singen. Die Klänge wehen zu mir herüber, über mich hinweg. Irgendwann setzt sich Hugo wieder zu mir. Ich solle mich auf die Musik konzentrieren. Passiert etwas? Es ist schön, entspannt mich. Ich schwebe in anderen Sphären, versuche meinen Körper abheben zu lassen. Es surrt und vibriert.
Doch viel mehr passiert nicht. Fragen nach Visionen verneine ich. Vielleicht halte ich meine Emotionen immer noch hinter Barrikaden, statt ihnen freien Lauf zu gewähren; worauf mich schon Juan bei der letzten Zeremonie hingewiesen hat.
„Es ist ein Prozess“, erklärt mir Hugo,„bei dem du Fortschritte erzielen kannst, wenn du dich der Medizin anvertraust und ihr deine Absichten offenbarst.“
Die Medizin. Ich spüre sie arbeiten. Langsam liegt sie mir schwer auf dem Magen. Mich übergeben kann ich aber nicht. Seraina erzählt mir später, dass es ihr gleich ergangen ist. Ich sage es Hugo, der mich Pullover und T-Shirt ausziehen lässt und anschliessend wie am Anfang mit Palmenblätterwedel, Gesängen und der Flüssigkeit, die er mir über den nackten Körper speit, durchputzt.
Ich fühle, wie mir die Galle langsam hochkommt. Zur Krönung kriege ich einen weissen Saft zu trinken. Ich nehme nur einen Schluck - und springe. Das Gebräu kommt mir augenblicklich hoch. Uff, das hat gut getan!
Im Gegensatz zu mir ist Seraina auf tiefe Ebenen hinabgesunken. Ich beneide sie. Sie reagiert auf solche Dinge viel feinfühliger, hat, dünkt es mich, viel mehr davon.
Während ich schon schlafe, befindet sie sich noch weit, weit weg, auf ihrer ganz persönlichen Reise.

Obwohl ich in dieser Nacht nur wenige Einsichten gewonnen habe, hat mir die Zeremonie dank Hugos besonderen Aura sehr gefallen. Am nächsten Morgen fühle ich mich trotz des wenigen Schlafes rundum sauber und wohl. Ich wünsche jedem Menschen auf dieser Welt, dass er und sie wenigstens einmal im Leben dieses sorgenlose Gefühl des Leichtseins (-sein nicht -sinn!), das mich im Augenblick beherrscht, am eigenen Körper, wichtiger noch, in der Seele erfahren kann. Ich hoffe, wir werden Hugos Einladung, ihn am Amazonas zu besuchen, nachkommen.